In meinem Wohnzimmer gibt es ein Dekorationsobjekt, das immer wieder die Aufmerksamkeit meines Besuchs auf sich zieht: Eine Maske aus Tansania. Ich habe sie vor vielen Jahren auf einem Maasaimarkt in Arusha beim Freund eines Freundes gekauft. Damals war ich unglaublich stolz auf diese Maske. Wenige Monate später jedoch dachte ich ernsthaft darüber nach, die Maske aus meinem Wohnzimmer, oder sogar komplett aus meinem Besitz, zu verbannen. Warum ich diesen plötzlichen Sinneswandel hatte und warum ich die Maske letztendlich doch behalten habe, erklärt die Geschichte hinter der Maske.

Arika – Kontinent der Masken!?

Fragt man Weiße Menschen, was sie mit Afrika assoziieren, werden die meisten wohl Sachen wie Löwen und wilde Tiere, Trommeln, ‘Stammeskulturen’ und Masken nennen. Diese Vorstellungen von Afrika wurzeln natürlich in kolonialen, rassistischen Bildern vom Kontinent Afrika und seinen Bewohner*innen und haben nur sehr wenig mit dem heutigen (und damaligen) sehr vielfältigen Afrika zu tun. Diese eingeschränkte Weiße Perspektive spiegelt sich in den Souvenir-Wünschen vieler Tourist*innen, die heute ein afrikanischen Land besuchen und etwas “authentisches” mit nach Hause bringen möchten um es Freunden zu zeigen und ihr Zuhause zu dekorieren. Und was ist “authentischer” als eine afrikanische Maske, werden wohl viele denken. Im Jahr 2009 dachte ich auch so und wollte unbedingt eine solche Maske haben. Deshalb ging ich damals mit einem Freund auf den Maasai-Markt. Da ich damals mit Maasai (d.h. eigentlich mit Maa-sprechenden Menschen) gearbeitet habe, ergab es für mich Sinn, eine Maasai-Maske zu kaufen. Wir gingen also zu einem der kleinen Stände auf dem Markt und eine Maske fiel mir sofort ins Auge: Es war eine große hölzerne Maske, die einen Maasai-Krieger darstellte. Ich kaufte sie und nahm sie mit nach Hause, um sie dort an meine Wand zu hängen.

Wenige Monate später fing ich an, in Leipzig Afrikastudien zu studieren und lernte eine ganze Menge über verschiedene Kulturen in Afrika, ihre komplexen Denk- und Gesellschaftssysteme und wie mein eigenes Afrikabild durch koloniale und rassistische Ideologien geprägt war. Tatsächlich gibt es einige Kulturen in Afrika, die nach wie vor Masken in ihren Traditionen und Ritualen verwenden. Aber: Nicht alle Kulturen benutzten und benutzen Masken. Ich lernte, dass Masken nicht “typisch” für Afrika sind und ganz besonders in Ostafrika waren sie kaum verbreitet! Masken sind jeweils in einen komplexen kulturellen Kontext und ein Glaubenssystem eingebunden und sind alles andere als Dekoration. Sie übernehmen eine wichtige Rolle in der gesellschaftlichen Ordnung. Genau wie in allen anderen Teilen der Welt organisierten sich Menschen in Afrika auf unterschiedliche Weise. Es gab zentralisierte (wie das frühere Königreich Dahomey im heutigen Benin) und dezentral organisierte Gesellschaften (wie die Nuer im heutigen Südsudan), Gesellschaften mit Altersklassensystemen (wie die Maasai im heutigen Kenia und Tansania) oder geschlechterspezifische Geheimbünde (wie die Poro und Sande Bünde Mande-sprechender Menschen im heutigen Liberia, Sierra Leone, Elfenbeinküste und Guinea). In letzteren sind Masken integraler Bestandteil unterschiedlicher Riten.

African countries where masks are used traditionally

African countries where masks are used, based on a list in the book African Masks, The Barbier-Mueller Collection (1998). The darker the green the more cultures using masks existed. 

Graphic: By Ellywa CC BY-SA 4.0, from Wikimedia Commons

Die Masken bestehen aus unterschiedlichen Materialien und Formen, immer nach den Bedürfnissen und Glaubenssystemen der jeweiligen Kultur gestaltet. Einige Masken sehen aus wie naturgetreue Nachbildungen von Menschen oder Tieren, andere sind ganz abstrakt. Normalerweise stellen sie übernatürliche Wesen, Ahnen oder Fantasiegestalten dar. In den meisten Fällen werden Masken zusammen mit Kostümen getragen, um den Körper des Maskenträgers / der Maskenträgerin zu verdecken und sind in spezielle Tänze und Rituale eingebunden. Am besten lassen sich Maske und Kostüm als Einheit und in der Ausführung kultureller Rituale verstehen.

Die Bedeutung von Masken in westafrikanischen Gesellschaften

Die Funktion von Masken unterscheidet sich von Kultur zu Kultur. In einigen Kulturen in Westafrika strukturieren Geheimbünde das gesellschaftliche Leben, wobei ihnen auch eine sakrale Bedeutung zukommt, da sie die Welt des Sichtbaren und des Unsichtbaren miteinander verbinden. Geister (oder übernatürliche Wesen), die sich in, nicht hinter, den Masken befinden, können durch den Maskenträger bzw. die Maskenträgerin zu den Menschen sprechen. Die Persönlichkeit des / der Maskenträger*in tritt in den Hintergrund, was meistens durch das Tragen eines Kostüms verdeutlicht wird, er /sie wird zum Sprachrohr für das übernatürliche Wesen und Wissen sowie Entscheidungen können an die Gemeinschaft übermittelt werden. Wird durch den / die Maskenträger*in ein Urteil gesprochen, spricht der / die Maskenträger*in anonym. Dies bedeutet, dass das Urteil nicht vom Maskenträger bzw. von der Maskenträgerin selbst oder der Gemeinschaft, sondern von dem übernatürlichen Wesen gesprochen wird. Sicherlich sorgt diese Anonymität für eine größere Akzeptanz des Urteils und verhindert Groll gegen den Urteilsverkünder bzw. die Urteilsverkünderin. Außerdem erscheint die Entscheidung dadurch eher als gemeinschaftlich getroffene Entscheidung. Besonders in Übergangsphasen des Lebens, in denen der Mensch verletzlich ist (wie beispielsweise bei der Initiation, durch die ein Kind in die Gemeinschaft der Erwachsenen aufgenommen wird, oder bei der Beerdigung als Übergang von den Lebenden zu den Toten), werden Masken auch oft für die Durchführung wichtiger Rituale verwendet, womit die Anwesenheit der übernatürlichen Wesen gesichert ist.

Dabei ist bei diesen Geheimbünden nicht ihre Existenz geheim, sondern das Wissen sowie der Entscheidungsprozess, was bedeutet, dass die Mitglieder kein Wissen nach außen tragen dürfen. Das ist ein Grund, warum ‘westliche’ Forscher nur sehr wenig Informationen über Struktur und Funktion der verschiedenen Geheimbünde sammeln konnten. Es gibt ganz unterschiedliche Bünde: Manche sind nach Geschlechtern organisiert und beschäftigen sich mit geschlechtsspezifischen Fragen (beispielsweise der Poro-Bund für Männer und der Sande-Bund für Frauen), andere wiederum nach Berufsgruppen (beispielsweise den Bund der Schmiede). Natürlich gab es immer wieder kulturelle Veränderungen und so hat sich auch die Bedeutung von Masken in einigen Kulturen verändert. In manchen spielen Masken nach wie vor eine wichtige Rolle, in anderen haben sie an Bedeutung verloren.

Maasai hatten nie Masken!

Soweit ich weiß und an der Uni gelernt habe, haben Maasai (genauer gesagt Maa-sprechende Menschen) in ihren Traditionen und Ritualen nie Masken benutzt. Sie organisieren ihre Gemeinschaft mit einem Altersklassensystem, welches sich fundamental von den oben beschriebenen Geheimbünden unterscheidet. Vereinfacht gesagt gehören Maasai-Männer einer spezifischen Altersklasse an, die zu einem bestimmten Zeitpunkt für eine gewisse Zeit Moran werden. Während sie Moran sind, haben sie festgelegte Pflichten und Rollen zu erfüllen. Fälschlicherweise wird der Begriff “Moran” oft mit “Krieger” übersetzt, dabei haben Moran nicht nur die Aufgabe, die wertvollen Rinder vor Raubtieren und Dieben zu schützen, sondern in der Gemeinschaft mitzuhelfen wo auch immer Hilfe benötigt wird. Nach einer gewissen Zeit als Moran erreicht die Altersklasse das Erwachsenenalter, welches mit neuen Erwartungen, wie der Familiengründung, verknüpft ist. Die jüngere Altersklasse beginnt dann ihr zeitweiliges Moran-Dasein. Das Altersklassensystem ist natürlich weitaus komplexer als hier beschrieben, aber eine detailliertere Beschreibung würde an dieser Stelle zu weit führen (weitere Informationen zu Altersklassensystemen der Maasai und anderen Kulturen in Ostafrika finden sich in dem englischen Artikel ‘The structure of East African Age-Set systems‘ von Morton, 1979). Letztendlich bedeutet dies, dass die Maa-sprechenden Menschen nie Masken für ihre gesellschaftliche Organisation brauchten.

Die Maske, die ich damals kaufte, war genau für Menschen wie mich (vor zehn Jahren) gemacht: Menschen, die etwas “authentisch” Afrikanisches mit nach Hause bringen wollten. Die Künstler*innen und Geschäftsleute in Tansania erkannten diese touristische Nachfrage und fertigten die gewünschten Masken an. Viele Menschen, besonders die Verkäufer*innen auf dem Maasaimarkt, bestreiten mittlerweile ihren Lebensunterhalt mit dem Verkauf dieser touristischen Gegenstände. Auch wenn die Maske, die ich zu Hause habe, ein reines Souvenir ohne wirkliche kulturelle Bedeutung ist, habe ich sie behalten um mich selbst daran zu erinnern, immer wieder das zu hinterfragen, was ich glaube zu wissen. Ich sehe die Maske heute als Einladung an (uns) Weiße Menschen, die Afrikabilder in unseren Köpfen kritisch zu hinterfragen. Weiße Menschen sind nach wie vor privilegiert in den Machtstrukturen und sie prägen aufgrund ihrer Machtposition, was als “normal” wahr genommen wird oder, um es in Frankenbergs Worten zu sagen:

Whiteness is a location of structural advantage, of race privilege. Second it is a “standpoint,” a place from which white people look at ourselves, at others, and at society. Third, “whiteness” refers to a set of cultural practices that are usually unmarked and unnamed.

(Weiß-Sein ist ein Ort struktureller Bevorzugung, eines Privilegs aufgrund von Rasse. Zweitens ist es ein Standpunkt, ein Ort, von dem Weiße Menschen auf sich selbst, andere, und die Gesellschaft blicken. Drittens verweist “Weiß-Sein” auf kulturelle Praktiken, die normalerweise nicht [als solche] gekennzeichnet und benannt werden).

www.education.oxfordre.com

Darum ist es so wichtig, dass Weiße Menschen ihre eigene Weltsicht hinterfragen und ihre Privilegien erkennen (dieser Prozess wird auch als Kritisches Weißsein bezeichnet. An anderer Stelle werde ich sicherlich mehr dazu schreiben). Als Weiße Person befinde ich mich selbst nach wie vor auf dem Weg, meine eigenen Vorurteile und Privilegien zu erkennen und zu benennen. Dank der Maske können einige dieser vorurteilsbelasteten Sichtweisen visualisiert werden. Und genau deshalb habe ich die Maske behalten.

Weiterführende Literatur (auf Englisch):

‘Mask’ by Paul S. Wingert (Britannica.com)

‘African art’ by Margret A. Carey, John Picton, Frank Willett, Janet B. Hess, Peggy Wagner (Britannica.com)

‘History and background of the Sande society’ by Madelyn Henry (mtholyoke.edu)

‘Being Maasai: Ethnicity and identity in East Africa’ by Thomas Spear (1993)

www.maasai-association.org

‘The structure of East African age-set systems (Masai, Arusha, Nandi and Kikuyu)’ by F. Morton, in: PULA: Botswana Journal of African Studies, Vol. 01 No. 2 1979: 77-102

‘Imaged or imagined? Cultural representations and the “tourismification” of peoples and places’ by Noel B. Salazar (2009)

‘White women, race matters: The social construction of whiteness’ by Ruth Frankenberg, in: University of Minnesota Press (1993)

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