Was fällt dir ein, wenn du an Sand denkst? Vielleicht Urlaub am Strand, Spielplätze mit Sandkästen, Wüsten? Sicherlich denkst du nicht an die Mafia, Ressourcenkriege und Umweltzerstörung. Das habe ich lange auch nicht, irgendwie klingt es auch trivial sich über Sand Gedanken zu machen – er scheint ja allgegenwärtig zu sein. Doch dann bin ich vor einiger Zeit darauf aufmerksam geworden, dass Sand in vielen Dingen des alltäglichen Lebens steckt und die Ressource Sand langsam knapp und somit ökonomisch wertvoll wird. Auf arte habe ich letztens eine Dokumentation geschaut, die die ganze Problematik sehr gut veranschaulicht, deshalb möchte ich die wichtigesten Punkte der Doku hier zusammenfassen und besprechen, um die Aufmerksamkeit auch auf diesen wichtigen Rohstoff zu lenken.
Die französisch-kanadische Dokumentation von Denis Delistrac aus dem Jahr 2013 heißt “Sand – die neue Umweltzeitbombe” und wurde auf arte ausgestrahlt. Sie war in der arte-Mediathek abrufbar, aber nicht in allen Ländern verfügbar. Glücklicherweise ist sie aber auch auf You Tube zu finden. Unten füge ich den Link zum Video auf Deutsch ein für all diejenigen, die sich die komplette Dokumentation ansehen möchten – es lohnt sich wirklich!
English Version of a similar article: wired.com “The Deadly Global War for Sand”
Sand – wo steckt er drin?
Sand ist wichtiger Bestandteil bzw. Ausgangsstoff für viele Produkte unseres alltäglichen Lebens und steckt in weit mehr Produkten als man auf den ersten Blick vermuten würde. So gewinnt man Glas durch das Einschmelzen von Sand und aus Sand wird die chemische Verbindung Siliziumdioxid gewonnen, welche wiederum in Weinen enthalten ist sowie wichtiger Bestandteil von Wasch- und Reinigungsmitteln, Papier, Zahmpasta und Kosmetika ist. Desweiteren enthält Sand wichtige Mineralien wie u.a. Lithium, Uran und Silicium. Für die Herstellung von Computern, besonders der Chips, ist qualitativ hochwertiger Sand unabdingbar. Auch im Bau von Flugzeugen und anderen Transportmitteln wird Sand benötigt. Den größten Sandbedarf jedoch verzeichnet der Bausektor, denn aus Sand und Zement wird Beton hergestellt, mit dem seit 150 Jahren Häuser und alle möglichen Gebäude gebaut werden. Weltweit ist Beton das meistbenutzte Material und durch die Eigenschaften von Stahlbeton (Beton und Bewehrungsstahl), große Lasten tragen zu können und eine hohe Zug- und Biegfestigkeit zu haben, bestehen mittlerweile ca. 2/3 der Gebäude aus Stahlbeton.
Hier ein paar eindrucksvolle Zahlen, die in der Dokumuntation genannt werden:
Zum Bau eines mittelgroßen Hauses werden ca. 200 Tonnen Sand benötigt. Für ein Krankenhaus benötigt man ca. 3000 Tonnen Sand, für den Bau von einem Kilometer Autobahn braucht man mindestens 30 000 Tonnen Sand und für ein Atomkraftwerk ca. 12 Millionen Tonnen. Der weltweite Verbrauch von Sand beträgt jährlich ca. 15 Milliarden Tonnen. Weil es schwierig ist, sich das Gewicht von einer Tonne (=1000kg) vorzustellen, hier ein paar Zahlen zur Visualisierung: im Jahr 2011 wog in der EU ein Auto (Neuwagen) im Durchschnitt 1,4 Tonnen. Ein ausgewachsener afrikanischer Elefantenbulle wiegt bis zu sieben Tonnen. Wenn man sich jetzt nochmal die Zahlen anschaut, wird das Ausmaß des Sandverbrauchs vielleicht nochmal deutlicher. Mittlerweile ist Sand zusammen mit Luft und Wasser das meistverbrauchte Wirtschaftsgut. Früher gab es Sand- und Kiesvorkommen, wo man Sand für die Weiterverarbeitung abbauen konnte. Das ist vorbei, heute muss man Sand auf andere Weise gewinnen.
Sandgewinnung
Zunächst baute man Sand nach dem Verschwinden der Sand- und Kiesvorkommen aus Flüssen ab, doch bald bemerkte man, dass dieses Auswirkungen auf die Flüsse und das Ökosystem hatte, sodass man damit begann, Sand mittels großer Schwimmbagger vom Meeresboden abzusaugen und an Land bzw. auf Schiffe zu pumpen oder Sand direkt von den Stränden abzubauen. Das Meer und seine Sandvorkommen schienen unerschöpflich zu sein, doch auch hier bemerkte man bald Auswirkungen des Sandabbaus.
Folgen des Sandabbaus
Zunächst ein kleiner Exkurs: Wie entsteht Sand eigentlich? Am Anfang stehen meistens Granit- oder Sandsteinfelsen, die durch Eis, Wind oder Regen langsam verwittern, sodass sich kleine Körner bilden, die dann über einen Fluss an die Küsten des Meeres und ins Meer transportiert werden. Dieser Prozess dauert meistens mehrere hundert bis tausende Jahre (heute erreicht nur noch ein Bruchteil des Sandes überhaupt die Küste, da unzähliche Staudämme die Sandkörner an der Weiterreise hindern). Eine Insel aus Sand entsteht und besteht durch das natürliche Zusammenwirken von Wind, Wellen und Wasserströmungen.
Wenn man nun Sand von den Küsten und dem Meeresboden entfernt, um ihn zum Beispiel für den Bau von Gebäuden oder Straßen zu verwenden, wird dieses natürliche Gleichgewicht zerstört. Es entsteht ein Hohlraum dort, wo der Sand entnommen worden ist, den Wellen und Strömungen langsam wieder füllen – mit Sand von den Küsten. Dadurch verschwindet der Sand langsam von den Küsten und die Strände werden kleiner. Durch diesen Prozess sind bereits viele Inseln von der Landkarte verschwunden: Indonesien hat beispielsweise schon 25 Inseln verloren und 100 Inseln der Malediven mussten bereits evakuiert werden, weil “Sandfischer” den Lagunen zu viel Sand entnommen haben. Die Bevölkerung, die dort lebte (und dies bereits seit mehr als 5000 Jahren!) musste auf andere Inseln umgesiedelt werden, viele zogen in die Hauptstadt Malé, die mittlerweile aus allen Nähten platzt, sodass neue Wohnungen und Gebäude gebaut werden müssen, wozu man wiederum Sand benötigt, der genau vor den Inseln abgebaut wird, die evakuiert wurden … ein Teufelskreis. Die Malediven machen seit Jahren auf ihre Situation aufmerksam: im Vorfeld der Klimakonferenz 2009 in Kopenhagen hielt der damalige Präsident Mohamed Nasheed eine Kabinettssitzung unter Wasser ab, um darauf aufmerksam zu machen, dass die Malediven bei weiter steigendem Meeresspiegel vor dem Verschwinden stehen. Damals wollte er besonders auf die Auswirkungen des Klimawandels aufmerksam machen, der durch den weltweiten hohen Ausstoß von CO2 vorangetrieben wird und für das Steigen des Meeresspiegels verantwortlich ist. Das Steigen des Meeresspiegels in Kombination mit dem Verschwinden der Strände durch Sandraub stellt die Malediven vor große, lebensbedrohliche Herausforderungen.

Strandpromenade in Vancouver (Kanada): schön zum Spazierengehen, der Strand ist jedoch in seiner Bewegung eingeschränkt
Strände sind jedoch nicht nur schön anzuschauen, sie übernehmen auch wichtige Funktionen im Ökosystem: so bilden sie eine Art “Pufferzone” und schützen das Hinterland vor den Wellen. Strände passen sich nach einem natürlichen Zyklus den wechselnden Jahreszeiten an: so sind sie im Sommer dicker und im Winter ziehen sie sich zurück und verflachen, um die Wucht der Wellen abzufangen. Für diesen Prozess benötigen sie Platz. Durch den Bau von Häusern, Straßen, Dämmen und anderen befestigten Bauten am Strand und in Strandnähe gibt es nicht mehr genügend Platz für den Strand, sich im Winter auszudehnen. Dadurch können die starken Wellen den Sand abtragen und der Strand verschwindet Schritt für Schritt bis der ganze Sand abgetragen ist. Es kommt zu Bodenerosionen, denen auch Gebäude wie Wohnhäuser zum Opfer fallen. Heutzutage liegen 3/4 aller großen Städte an Küsten, wo die Hälfte der Weltbevölkerung lebt. In den nächsten Jahrzehnten werden diese Städte wohl weiter anwachsen.
Rettung der Strände durch Aufschüttungen?
Neben der natürlichen Funktion der Strände, das Hinterland zu schützen, sind Strände auch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in der Tourismusbranche und den mit ihnen zusammenhängenden Branchen (Gastronomie, Transport etc.). Für einige Länder ist der Tourismus einer der wichtigsten Wirtschaftszweige, der durch das Verschwinden der Strände bedroht ist. Weltweit sind dadurch Arbeitsplätze gefährdet. Ein Beispiel aus der Dokumentation: In Marokko wurden bereits 40-45% des Sandes gestohlen. Die Sandmafia nutzt dort billige Arbeitskräfte, um Sand von den Küsten abzubauen. Mittlerweile sehen viele Strände in Marokko aus wie Mondlandschaften, denn der Sand wurde für den Bau von Hotelanlagen benötigt, in denen die Touristen unterkommen, die für die schönen Strände kommen – welch Ironie!
Aus diesem Grund versuchen viele, vor allem wohlhabende, Gemeinden weltweit, dem Verschwinden der Strände entgegenzuwirken. Eine Methode zur Erhaltung der Strände besteht in der Aufschüttung der Strände mit Sand. Dieser wird vom Meeresboden abgesaugt und dann an den Strand gepumpt – ein gutes Geschäftmodell für Firmen, die sich auf die Aufschüttung spezialisiert haben. Besonders auch, weil diese Methode nichts bringt, da die so entstehenden Hohlräume durch die Wellen und Strömungen wie oben beschrieben mit Sand von den Küsten aufgefüllt werden – alle ein bis zwei Jahre muss die Prozedur wiederholt werden, was eine große finanzielle Belastung für die öffentliche und private Hand bedeutet.
Sandschmuggel und Sandmafia
In dem kleinen Land Singapur, welches mittlerweile eines der reichsten Länder Asiens ist, gibt es nicht genügend Platz für die rasant wachsende Bevölkerung. Durch Aufschüttung vor den Küsten hat Singapur bereits 130km2 Land hinzugewonnen und auch in Zukunft möchte Singapur seine Landmasse weiter ausbauen. Der Sand für diese Aufschüttungen bezog Singapur vor allem von seinen Nachbarländern Vietnam, Kambodscha und Indonesien, bis diese sich weigerten, weiterhin Sand zu exportieren da der Sandabbau erhebliche Auswirkungen auf ihre Küsten und Strände hatte. Trotzdem bezieht Singapur weiterhin Sand für die Aufschüttungen; woher dieser Sand genau kommt, ist offiziell nicht geklärt, allerdings wird Singapur des Sandschmuggels aus den oben genannten Ländern bezichtigt.
Mittlerweile ist Sand Gegenstand eines Krieges, der Konflikte zwischen Staaten schafft und die Existenz vieler Menschen bedroht. Die Ressource Sand wird knapp, die Preise steigen, was auch zur Bildung krimineller Netzwerke führt. In Indien ist die Sandmafia die mächtigste kriminelle Vereinigung. Mit Erpressung und Gewalt bis hin zur Beseitigung von Kritikern setzen sie ihre Interessen durch und betreiben den Sandschmuggel.
Auch Dubai hat einen exorbitant hohen Verbrauch an Sand, denn für den Bau von extravaganten Gebäuden wie dem Burj Khalifa, dem zurzeit höchsten Gebäude der Welt, und Aufschüttungen zur Realisierung von Projekten wie “The Palm” oder “The World” wurden Unmengen an Sand benötigt. Dieser wurde für “The Palm” zunächst an der Küste von Dubai gewonnen, doch schnell waren die Sandreserven von Dubai erschöpft. Wie das? Die Vereinigten Arabischen Emirate verfügen doch über viele Wüsten und somit Wüstensand? Grund dafür ist, dass Wüstensand aufgrund seiner Beschaffung nicht für den Bau geeignet ist. Der Wind wirbelt die Sandkörner der Wüste so herum, dass sie rund und glatt werden. Für den Bau benötigt man jedoch kantige Sandkörner mit einer eher rauhen Oberfläche damit sie zusammenhalten.
Ein Bekannter, der längere Zeit in Dubai lebte und dort öfters in der Wüste war, erzählte mir neulich, dass sich der Sand im Mund auch ganz anders anfühlte als Sand vom Strand: wenn man diesen im Mund habe, knirsche es und der Sand pappe zusammen, während er jenen aus der Wüste einfach ausspucken konnte und im Mund nicht so unangenehm war.
Wüstensand ist im Gegensatz zu Sand vom Meeresboden für den Bau nutzlos – trotz großer Sandvorkommen muss Dubai Sand aus Australien importieren, um die ehrgeizigen Projekte ausführen zu können!
Warum vernetztes Denken so wichtig ist!
Mittlerweile gibt es einen weltumspannenden Handel mit Sand und die Auswirkungen des Sandabbaus sind auch in Regionen zu spüren, wo die Sandmafia nicht aktiv ist bzw. wo kein Sand direkt abgebaut wird. Das Ökosystem ist jedoch ein System, in dem alles mit allem verbunden ist und somit folgt auf jede Aktion irgendwo im System eine Reaktion. Länder, die selbst keinen Sandabbau betreiben, können durch das Handeln anderer Länder oder privater Akteuere stark von den Folgen des Sandabbaus betroffen sein. Eingriffe in das Ökosystem haben immer Auswirkungen.
Wer verstehen möchte, warum Dämme erodieren, Inseln verschwinden und Menschen an der Küste (zum Beispiel Fischer) ihre Lebensgrundlage verlieren, kann sich nicht nur auf den Klimawandel und die Überfischung der Meere durch riesige Fischereinunternehmen konzentrieren, sondern muss auch den Sandabbau in den Meeren, Flüssen und an den Küsten berücksichtigen. Denn durch den Bau von Staudämmen werden die Sandkörner daran gehindert, an die Küsten zu gelangen und dort den Strand aufzufüllen; durch das Absaugen von Sand vom Meeresboden werden auch viele kleine Organismen im Meer und am Strand getötet, die in der Nahrungskette als Nahrungsgrundlage für größere Tiere und Fische dienen, sodass bei ihrem Verschwinden auch die Fische ihre Nahunrgsgrundlage verlieren und dadurch die Fischer nicht mehr genügend Fische fangen können, um ihre Familien zu ernähren. Durch das Verschwinden von Inseln verlieren Menschen ihr Zuhause, müssen umgesiedelt werden und Seegrenzen von Ländern ändern sich, was geopolitische Auswirkungen hat und zu kriegerischen Konflikten zwischen Ländern führen kann.
Sich ein Phänomen oder ein Problem nur unter einem Gesichtspunkt anzuschauen, ist zu kurz gedacht. What goes around comes around. Nur wenn sich Politiker, Ingenieure und Unternehmer zusammentun und gemeinsam an Lösungsstrategien arbeiten, können Veränderungen geschehen. Und wir als Zivilgesellschaft können dazu beitragen, indem wir Druck auf unsere Politiker ausüben, sich mit den Themen zu beschäftigen und mehrdimensionale, nachhaltige Lösungsansätze zu entwickeln; indem wir bewusster konsumieren und von einer Haltung des “Höher, schneller, weiter” Abstand nehmen.
Das Thema Sand iteressiert mich deshalb besonders, weil es die Vernetzung verschiedener Akteuere und Bereiche so anschaulich verdeutlicht und die Bedeutung eines als trivial empfundenen Rohstoffes für die Umwelt, Gesellschaft, Politik und Wirtschaft verdeutlicht.
Weitere Literatur – extra resources
TEDx Barcelona: “Let’s talk about sand“, Denis Delestrac
Metro: “Mystery of the stolen beach” – example from Jamaica