Ich habe viele Gespräche mit Menschen über Politik, die Welt, das Leben. Meistens geht es um Probleme und Herausforderungen vor denen die Welt und die Menschen stehen. Ein Gefühl der Ohnmacht, der Verbitterung und der Hilflosigkeit stellt sich ein. “Wir können sowieso nichts machen gegen die da oben”, heißt es dann. “Ich allein kann sowieso nichts bewirken”. Wunderbare Entschuldigungen dafür, nichts zu tun, zu resignieren und sich Sündenböcke für alle Gelegenheiten zu suchen, von “den Flüchtlingen” über “die Politiker” zu “den Bankern”. Dann wird generalisiert und geschimpft. Aber dadurch nehmen wir uns doch selbst die Macht, wenn wir immer nur auf “die da oben” zeigen. Wir sind doch der Souverän! Oder nicht? Der Kabarettist Hagen Rether hat genau zu dieser Thematik einen wunderbaren Beitrag gemacht, den ich hier gerne zitieren möchte, weil er die Sache auf den Punkt bringt:


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“Immer: die blöden Politiker, die blöden Banker, die blöden Journalisten. Die da oben, denen da oben den Spiegel vorhalten. Ja, aber das ist so wohlfeil, das macht jeder Stammtisch, das kostet auch nichts. Uns selbst den Spiegel vorhalten, da ist Bewegung drin und da tut sich was. Denen da oben, das hat so etwas vordemokratisches, das kommt so aus der Feudalzeit. Man gibt denen doch uneingeschränkte Macht wenn man dauernd den Fokus auf die legt. Wir sind doch der Souverän, wieso entmachten wir uns dauernd? Her mit der Selbstermächtigung. Wir haben es doch in der Hand. Man kuschelt sich dann in so eine ohnmächtige Opferrolle rein und alle sind sich ja einig, dass die da – ich finde das toll, dass Sie sich das heute alles anhören, das muss ich mal sagen. Das finde ich super. Wir könnten uns heute so einen schlanken Fuß machen, oder? Ich watsche die alle ab, stellvertretend, diese ganzen Funktionäre, die sich im Übrigen alle vier Jahre wechseln, dann watsche ich die nächsten ab: die blöde von der Leyen, der blöde Gauck, der blöde de Maizière, die blöde Merkel und wie der Steinmeier überhaupt aussieht und so und dann lachen wir alle und sind uns alle einig und fertig ist der verschmitzte Kabarettabend. Wem nützt das? Wo ist unser Anteil an der Misere? Der kommt mir immer zu kurz. Was die da oben falsch machen, das ist ja hinlänglich bekannt. Das steht ja in 17000 Tageszeitungen jeden Tag. Was wir jeden Tag so verkacken, das steht in keiner Zeitung in der Regel. Wir haben doch Anteil an dem Ganzen, das stimmt doch ja alles. Ich meine, was die da oben uns verarschen, das ist jetzt bekannt […] die da oben, ich meine, es geht doch auch gar nicht um Information mehr. Jeder Achtklässler kann sich für seine Hausaufgaben jeden […] Skandal mit Schießgewehren zusammen googlen. Mit dreißig Mausklicks hast du jeden […] Skandal […] Das kennt doch jetzt jeder, das weiß doch jetzt jeder. Aber was ist denn mit uns? Wir haben doch gesehen wie 2008 nach der Lehman-Pleite der Alan Greenspan, der “Papst”, der neoliberale “Papst”, da vor dem Senatsausschuss gesessen ist, wie so ein Schuljunge mit knallroten Ohren, hat sich in Grund und Boden geschämt und gesagt er habe sich so getäuscht, eine Lebenslüge, das Ganze war total falsch von hinten bis vorne. Das haben wir doch alle gesehen. Hat sich unser Verhalten seit dem geändert an der Börse? Also, wo sind wir bereit, einen Milimeter aus unserer sogenannten “Komfortzone” zu rutschen, weil wir da ja die […] haben, die wir abwatschen können. Ich habe eine Talkshow gesehen, da hat einer dieser Talker gesagt “ja, wie wollen wir die Zukunft denn jetzt besser machen? Und jetzt fangen Sie nicht damit an, dass wir Bio-Lebensmittel kaufen!” Wieso nicht? Natürlich, wie sollen wir sonst anfangen? Man will immer gern den großen Bogen denken, ist aber nicht bereit, diese kleinen profanen Trippelschritte am Anfang schon zu machen […] Immer ist jemand Schuld; die Ackermänner, ja, dass die mit einem Mausklick Milliarden vernichten können, ja, wir wollten die Parteien nicht wählen, die Börsenumsatzsteuern einführen wollen. Wir haben Lafontaine und Wagenknecht und Gysi zehn Jahre lang abgewatscht in jeder Talkshow für die Forderung und für Mindestlöhne. Das haben wir alles nicht einführen wollen ganz lange, bis heute. Man könnte die Fantastilliarden melden, die so in Nanosekunden durch die Welt gehandelt werden – wollen wir nicht. Die Parteien, die das wollten, sitzen jetzt in der Opposition und haben ein paar Minuten Redezeit pro Stunde. Also wir sind es doch. Immer ist jemand Schuld, wir machen uns das sehr einfach. Das ist mir aber zu wenig, das ist immer einseitig. Stimmt ja alles, kann man alles recherchieren, aber wir, finden wir gar nicht statt? […] Wir wollten doch in den letzten Jahren keine drei Prozent Rendite und fünf Prozent Rendite. Wir wollten doch 15 und 25 Prozent. Du kannst nicht dein Leben lang Fleisch essen und dann mit dem Gichtanfall den Metzger anzeigen – das funktioniert nicht. Wie wäre es mit erwachsen werden? Das ist mir zu wenig. Und die Merkel ist immer an allem Schuld. Seit zehn Jahren lese ich jetzt diesen Schwachsinn in allen Zeitungen. Die Merkel ist Schuld an unserer Lähmung und an unserer Lethargie und dass wir so apolitisch sind. Was?! Die hat ja eine Zauberkraft, die Frau Merkel, das ist ja ungeheuerlich! Und was stellen wir uns aus für ein erschütterndes Zeugnis, wenn wir uns von einer Frau Merkel lähmen lassen können? Was sind wir für Weicheier? Man hat oft in Deutschland den Eindruck, dass die Leute im Grunde enttäuschte Demokraten sind, im Grunde ihres Herzens Royalisten sind, die sich einen König wünschen, damit sie ihn doof finden können. Das ist doch ein Obrigkeitsding, ein Untertanending. Ich verstehe das nicht. Die Frau Merkel ist Schuld, dass wir bei Amazon einkaufen? Und bei Starbucks Kaffee trinken? Und alle zwei Jahre das neue Samsung […] Galaxy kaufen und dass wir für 19 Euro drei Mal im Jahr durch Europa fliegen zum Urlaub, daran ist die Frau Merkel auch Schuld. Die Frau Merkel ist überhaupt an allem Schuld. Die Frau Merkel ist auch Schuld, dass wir nicht mehr zur Wahl gehen. Ja […] da haben wir es doch, endlich haben wir jemanden! Wegen der Merkel gehen wir doch nicht mehr zur Wahl. Das könnte uns so passen. Wir haben es gut. Sind Sie auch so froh, dass Sie bei den Guten sind? Ich bin wahnsinnig froh. Bei mir hat der Zauber von Frau Merkel nie gewirkt zum Beispiel, ich gehe trotzdem immer noch zur Wahl, ganz eigenartig so eine Immunität […] Die Politik muss mal was machen. Das heißt doch im Klartext, wenn wir eine aktivere Kanzlerin hätten – aber so: Nö! Glauben wir uns den Scheiß, den wir uns ins Ohr blasen seit zehn Jahren? Glaubt da einer dran? […] Die unendliche Macht der Merkel: verzaubert ein ganzes Land. “